
11. August 2018 | 1535. Wochenende nach Erfindung des www
Nicht immer ernst gemeint, aber ehrlich.
+++ Früher war alles besser +++ Ich habe gerade mal wieder so eine „Früher war alles besser“ Meldung über unsere Kindheit in den 70er und 80er Jahren gelesen: „Wir hatten keine Playstation, Nintendo 64, X-Box, Videospiele, auch nicht 264 Fernsehkanäle, Filme auf Video, Surround Sound und auch keinen eigenen Fernseher. Wir hatten Freunde!!! “ Rhabarber, Rhabarber … So ein „Schmarrn“. Hier für die Nachwelt die ungeschminkte Wahrheit: Vor der drohenden Klimaerwärmung in hundert Jahren hatten wir keine Angst … .. es drohte ja ein atomarer Winter in unserer näheren Zukunft. Wir wurden nicht von 264 Fernsehkanälen zugedröhnt … … drei Programme waren doch wirklich genug und am Karfreitag liefen nur Jesus-Filme auf allen drei Kanälen in schwarz-weiß (selbst für die ersten Farbfernsehbesitzer). Wir wussten auch noch, was ein Testbild ist. Über Inklusion wurde nicht gestritten … … jeder kannte aus der Sandkiste die Contergan-Kinder und den Fahrstuhl bei Karstadt bediente ein Kriegsversehrter. Die bösen Atomkraftwerke machten uns keine schlaflosen Nächte … …. wir saßen nachts mit unseren Müttern und Pseudokrupp am Fenster und versuchten zu atmen. Silvester wurde nicht in Berlin (West) gefeiert, sondern zuhause … … die Welt endete eh in Helmstedt und Berlin war weder reich noch sexy, sondern ein eingemauertes heroinverseuchtes Drecksloch (allerdings ohne Sperrstunde). Die ganze Welt war bunter …. … die psychedelische Inneneinrichtung unserer Wohnung war direkt inspiriert von den regenbogenbunt schillernden Schaumteppichen, die die Böschungen unserer Flüsse und Bäche umrahmten. Ein netter Kontrast zu den „Neue Heimat“-Plattenbauten, die unseren Eltern die Gewerkschaften und Le Corbusier beschert hatten. Die Prügelstrafe war bereits abgeschafft … … aber keiner ging nach dem Kommunions-/Konfirmationsunterricht gerne zum Pfarrer oder Pastor. Wir waren so viele Kinder und hatten so viele Freunde … … kein Wunder, unsere Kinderbücher waren ja auch zum Davonlaufen. Ein Wunder, dass wir überhaupt lesen gelernt haben. Konsumterror war uns fremd, von genverändertem Speiseeis ganz zu schweigen … … wir hatten Fürst-Pückler und gefrorenes, gefärbtes Wasser im Plastikschlauch. Konsumterror war uns auch später noch fremd, … allenfalls waren die Bundeswehr-Parkas der Demonstranten vor der Kaserne nicht ganz so verwaschen wie die Bundeswehrparkas der Soldaten in der Kaserne. … und muss ich noch etwas zu rauchenden Eltern im Auto, Autobahntoiletten, sommerlichen Fahrten ohne Klimaanlage, dem Essen bei der englischen Gastfamilie, dem leckeren Caro-Kaffee oder dem grauen Wählscheibentelefon im Flur der Wohnung sagen? Das ist die West-Sicht. Das wurde damals noch unterschieden und ich bin sicher, im Osten war (wie üblich) alles noch viel besser. Dem nächsten aus meiner Generation, der sagt „Früher war alles besser“, • dem hau ich mein iPad über die Rübe • den tunke ich kopfüber in den Rhein (heute wird er es überleben) • den lasse ich hundert Sendungen „Dalli, Dalli“ am laufenden Band sehen • der tut mir wirklich sehr leid.
+++ Stirbt das Fluchen aus? +++ Es gib so schöne Flüche: Kruzitürken, Sapperlott, Heiligs Blechle, Sacklzement, Potzblitz, Gottverdammich … …. und nicht zu vergessen mein ganz persönlicher Favorit „Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!“ von Kapitän Haddock, der mich schon als Kind fasziniert hat. Der Fluch unterscheidet sich dabei von der Beleidigung, wie wohl zu Unrecht oft synonym benutzt, dadurch, dass der Fluch in einer Situation benutzt wird, die einen selber emotional berührt. Dabei kann es sich um Freude, Angst, Überraschung, Entsetzen oder jedes andere starke Gefühl handeln. Das Schimpfwort hingegen zielt auf die Herabwürdigung und Beleidigung eines anderen hin. „Scheiße“ ist also ein Fluch und „Arschloch“ eine Beleidigung“, um die gefühlt häufigsten Worte der deutschen Sprache im öffentlichen Personennahverkehr anzuführen. Überhaupt hat das allgegenwärtige „Scheiße“ scheinbar alle anderen Flüche aus dem Feld geworfen. Der Globetrotter nutzt eventuell noch ein polyglottes „Shit“, wobei man letzteres auch rauchen kann, was verwirrend wirkt. Nahezu verschwunden sind „Mist“ oder das austro-jugoslawische „Jebi ga“. Dabei handelt es sich aber weniger um eine um sich greifende Verrohung, sondern viel mehr um eine Verarmung der Sprache. Kraftausdrücke haben ihren Namen zu recht und dürfen auch kräftig sein. Kommen uns vielleicht die Emotionen abhanden, die früher zur Nutzung eines entsprechenden phantasievollen Schimpfworts geführt haben? Auch der Rückzug der Dialekte, die viele sprachlich farbenfrohe Flüche hervorgebracht haben, dürfte eine Rolle spielen. Diese Sprachlosigkeit findet sich auch in den sozialen Medien wieder. Die Bildersprache ersetzt die Worte. Ist es Fortschritt, dass ich heutzutage Emojis in fünf Hautfarben und drei Geschlechtern benutzen, aber über Gefühle nicht sprechen kann? Also, „Rutscht mir den Buckel runter“ 😠😡
+++ Wenn der Wein im Glase lacht, ist die Wohnung unbewacht +++
